Am 1. Oktober jährt sich die Errichtung des Bundesgerichtshofs zum 75. Mal. Dies gibt Anlass für Rückschau, Standortbestimmung und Ausblick sowie zum Aufruf, das in den letzten 75 Jahren Erreichte zu schützen und zu bewahren.
Als am 8. Oktober 1950 im Erbgroßherzoglichen Palais in Karlsruhe als dem auch heute noch prägenden Stammsitz des Bundesgerichtshofs Bundespräsident Theodor Heuss gemeinsam mit Justizminister Thomas Dehler (FDP) und weiteren Würdenträgern den neu errichteten Bundesgerichtshof feierlich eröffnete, war dem ein Kampf um die Standortfrage des neuen obersten Gerichtshofs für das Zivil- und Strafrecht vorhergegangen, der seinen glücklichen Ausgang in Karlsruhe gefunden hatte.1 Dass damit die Wiege für die heutige „Residenz des Rechts“ gelegt war, hätte damals wohl niemand vorhergesehen. Denn bei seiner feierlichen Eröffnung im Oktober 1950 wurde der Bundesgerichtshof noch relativ unkritisch in die Tradition des Reichsgerichts gestellt. Das fußte zum einen auf der zweifellos großen und auch international anerkannten dogmatisch- wissenschaftlichen Leistung des Reichsgerichts2 wie aber auch auf einer noch nicht im Ansatz aufgearbeiteten Rolle des Reichsgerichts bei der justiziellen Stabilisierung des NS-Unrechtsstaats einschließlich der persönlichen und sachlichen Kontinuitäten etlicher seiner Richter und Teilen seiner Rechtsprechung,3 die erst in jüngster Zeit umfassend aufgearbeitet wurden.4 Neben manchen aus heutiger Sicht noch verstörenden Entscheidungen, etwa zur Verfolgung von Sinti- und Roma-Angehörigen,5 dem Huppenkothen-Urteil6 aus dem Jahr 1956 sowie der Entscheidung im Fall Rehse 19687 kam es vor allem im Zuge der gesellschaftlichen Umwälzungen gegen Ende der 1960er-Jahre auch dazu, dass sich der Bundesgerichtshof und sein Personal in Tonalität und Habitus zunehmend vom Bild einer autokratisch-obrigkeitlichen Richterschaft reichsgerichtlicher Provenienz emanzipierten und zu eigener starker Stimme im Rechts- und Verfassungsstaat der Bundesrepublik fanden. Erst im Jahr 1995 freilich hat der Bundesgerichtshof im Zuge der Aufarbeitung des DDR-Justizunrechts die Kraft gefunden, sein eigenes Versagen bei der Aufarbeitung des NS-Justizunrechts einzugestehen.8
Zum 50-jährigen Bestehen des Bundesgerichtshofs konnte der erst kürzlich verstorbene ehemalige Präsident des Bundesgerichtshofs Karlmann Geiß vom Bundesgerichtshof gleichwohl vorbehaltlos als „Hort des Rechts, Stätte kritischer Vernunft und Pfeiler demokratischer Gleichheit aller vor dem Recht“9 sprechen. Neben der Ausschärfung und Erweiterung der revisionsgerichtlichen Prüfungskompetenzen des Bundesgerichtshofs war die Bewältigung der stetig fortschreitenden europarechtlichen Überformung des nationalen materiellen Rechts und Verfahrensrechts sowie im Zuge der deutschen Wiedervereinigung die herkulische Aufgabe der Rechtsangleichung und Wiederherstellung der Rechtseinheit in Angriff genommen worden. Diese dürfen heute als bewältigt gelten (auch wenn Einzelfragen den Bundesgerichtshof bis in die jüngste Vergangenheit hinein beschäftigen10). Zu Beginn des neuen Jahrtausends gestaltete der Gesetzgeber zudem die zivilprozessuale Revision mit der Einführung der wertabhängigen Zulassungsrevision sowie das Berufungsrecht tiefgreifend um. Auf die Tätigkeit in den Zivilsenaten des Bundesgerichtshofs, in denen die Bearbeitung von Nichtzulassungsbeschwerden deutlich in den Vordergrund rückte, hatte die Reform erhebliche Auswirkungen. Das zunehmende Auftreten schadensträchtiger Massensachverhalte, deren gebündelte anwaltliche Bearbeitung durch Legal Tech überhaupt erst ermöglicht wurde, bescherten dem Zivilprozess darüber hinaus die Anfänge kollektiven Rechtsschutzes11 sowie seit 2024 das Leitentscheidungsverfahren12 beim Bundesgerichtshof, die jeweils versuchen, prozessökonomische Strategien zur Erhaltung der grundlegenden Arbeitsfähigkeit der nationalen Gerichte, auch des Bundesgerichtshofs, zu etablieren. Die strafrechtliche Revision behielt demgegenüber im Wesentlichen ihre bewährte Struktur, auch hier trieb der Gesetzgeber aber die Rechtsentwicklung durch größere und kleinere Eingriffe, die teils bereits bestehende Rechtsprechung nachzeichneten und fortschrieben, voran. Dabei wurde in den vergangenen 25 Jahren bis heute sowohl das materielle Strafrecht als auch das Strafprozessrecht zunehmend von europarechtlichen Vorgaben beeinflusst. Besonders prägend war in den vergangenen Jahren die stetig zunehmende Bedeutung der strafrechtlichen Revisionen im Allgemeinen, der Staatsschutzsachen im Besonderen sowie eine ganz erhebliche Zunahme der Eingänge im ermittlungsrichterlichen Bereich, in denen sich leider der Zustand unserer derzeitigen Welt spiegelt.
Standortbestimmung
Heute zeigt sich der Bundesgerichtshof als Gericht, das seinen selbstverständlichen Platz zwischen Gesetzgeber und Wissenschaft gefunden hat. Mit der sogenannten Pianisten-Debatte13 wurde das stets herausfordernde Verhältnis von Erster und Dritter Gewalt aufgerufen und geklärt. Die Ergebnisse prägen auch heute noch die Arbeit des Bundesgerichtshofs. Erstens: Juristische Methodik und Dogmatik machen das Ergebnis (höchstrichterlicher) Gesetzesauslegung intersubjektiv nachvollziehbar und für die (Fach-)Öffentlichkeit diskutierbar. Indem Lösungen in Auseinandersetzung mit Literatur und Rechtsprechung methodisch begründet werden, öffnet der Bundesgerichtshof sie zugleich dem rechtswissenschaftlichen und rechtspolitischen Diskurs und trägt damit über die unmittelbare Entscheidungsfindung hinaus zur Rechtsentwicklung bei. Zweitens: Rechtsfortbildung ist und bleibt neben der Rechtsvereinheitlichung eine dem Bundesgerichtshof gesetzlich zugewiesene Aufgabe. Wenn der Bundesgerichtshof in – durchaus auch „schöpferischer Rechtsfindung“14 – für verallgemeinerungsfähige Sachverhalte richtungweisende Orientierungshilfen15 aufstellt, erhebt er sich nicht wider die Gewaltenteilung zum Ersatzgesetzgeber, sondern kommt er einer ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgabe nach, gleich, ob sich der Gesetzgeber bewusst offener Tatbestände bedient hat, das Gesetz unklar oder widersprüchlich ist oder es zum Fall gänzlich schweigt.
Werden diese Punkte zusammengenommen, scheint das Verhältnis zum Gesetzgeber als das eines selbstbewussten Dienens (nicht: Dieners) zutreffend beschrieben. Der Bundesgerichtshof dient Gesetz und Recht, wenn er in den ihm zugewiesenen Materien Tatbestände für einzelne Fallgruppen leitsatzartig konkretisiert16 oder aus Generalklauseln für einzelne Sachbereiche komplexe Prüfprogramme ableitet.17 Denn nur so kann aus dem abstrakten Gesetz operables Recht werden, und zwar selbst (und gerade!) dann und dort, wenn und wo das Gesetz zur entscheidungserheblichen Rechtsfrage schweigt18 oder das gesetzgeberisch Gewollte nur so unvollkommenen Niederschlag im Gesetzestext gefunden hat, dass mit den Mitteln herkömmlicher Auslegungstechnik eine umfassende, sachgerechte Lösung für alle denkbaren Einzelfälle nicht mehr erreichbar scheint.19 Die Fortbildung des Rechts kann durch Aufnahme solcher Befunde durch den Gesetzgeber zugleich zur Fortschreibung des Gesetzes führen.
Im Verhältnis zu den Instanzgerichten, dem Bundesverfassungsgericht und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) ist der Bundesgerichtshof emanzipierter Akteur in einem sorgsam austarierten System arbeitsteiliger Rechtsverwirklichung in Deutschland und Europa geworden, das maßgeblich nicht auf Subordination, sondern auf Kooperation und Kompetenzabgrenzung im Sinne arbeitsteiligen, dialogischen Zusammenwirkens gründet.In seiner Eigenschaft als Revisionsgericht ist der Bundesgerichtshof gegenüber den Instanzgerichten dirigierende, korrigierende, aber auch rezipierende Instanz, unter Beachtung der Aufgabenteilung zwischen Tat- und Revisionsgericht. Als dirigierende Instanz entwickelt er aus dem abstrakten Gesetz wie vorbeschrieben operable Rechtssätze. Seine Entscheidungen entfalten über die Bindungswirkung im Einzelfall hinaus20 kraft ihrer argumentativen Autorität Kraft auch für solche Entscheidungen, die nicht dem Revisionsrecht unterliegen.21 In der Entwurfsbegründung zu den am 31. Oktober 2024 in Kraft getretenen Vorschriften des neuen Leitentscheidungsverfahrens beim Bundesgerichtshof (§§ 552b, 565 ZPO) ist diese (faktische) Orientierungsfunktion seiner Rechtsprechung ausdrücklich in Bezug genommen; auch deshalb musste die Leitentscheidung nicht mit formaler Bindungswirkung ausgestattet werden.22 Als korrigierende Instanz hebt der Bundesgerichtshof rechtsfehlerhafte Entscheidungen der Instanzgerichte auf, entscheidet – so es ihm möglich ist23 – in der Sache selbst oder weist sie zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das hierzu berufene Tatgericht zurück und garantiert so die Verwirklichung des Judikats auch im Einzelfall. Dabei achtet und wahrt der Bundesgerichtshof die Aufgabenverteilung zwischen Revisions- und Tatgericht, dem in erster Linie die Sachverhaltsfeststellung und die nach Maßgabe höchstrichterlicher Leitlinien „subsumtionsnahe“ tatrichterliche Würdigung des Streitstoffes obliegt. Diese Eröffnung und Beachtung tatrichterlicher Wertungs- und Beurteilungsspielräume durch den Bundesgerichtshof stehen zur dirigierenden Kraft seiner Leitlinien freilich in einem gewissen Spannungsverhältnis. Dem trägt der Bundesgerichtshof durch den regelmäßigen Einsatz von „Öffnungsklauseln“24 und Fallgruppenbildung Rechnung. Zudem unterzieht er seine Obersätze kontinuierlich kritischer Überprüfung.25 Derlei Nachjustierungen sind nicht Ausdruck konzeptioneller Schwächen, sondern fortdauernder Reflexionsbereitschaft und eines guten arbeitsteiligen Zusammenwirkens von Tat- und Revisionsgericht bei der gemeinschaftlichen Rechtsverwirklichung. Dass der Bundesgerichtshof selbst rezipierende Instanz unterinstanzlicher Rechtsprechung ist, trägt wesentlich zur Überzeugungskraft seiner Entscheidungen bei. Seine Rezeptionsbereitschaft erschöpft sich nicht in der Identifizierung von zu beseitigenden Divergenzen in der obergerichtlichen Rechtsprechung. Nur durch die umfassende Kenntnis unterschiedlicher Fallkonstellationen und hierzu entwickelter Lösungen in den Instanzen kann der Bundesgerichtshof bestätigende, modifizierende oder abweichende Orientierungshilfen aufstellen, die so richtungsweisend wie möglich und so flexibel wie nötig sind.
Im Verhältnis vom Bundesgerichtshof zum Bundesverfassungsgericht obliegt Letzterem die letztverbindliche Auslegung der Grundrechtsartikel. Schon seit der Lüth-Entscheidung aus dem Jahr 1958 ist auch geklärt, dass das Bundesverfassungsgericht nicht als „Superrevisionsinstanz“ über die einfach-rechtliche Rechtsanwendung durch den Bundesgerichtshof wacht, sondern darüber, ob dieser bei der allein ihm obliegenden Auslegung und Anwendung des Fachrechts das Verfassungsrecht, insbesondere die Grundrechte, in der vom Bundesverfassungsgericht gefundenen Auslegung zutreffend berücksichtigt hat. Indem der Bundesgerichtshof den Grundrechten mit dem ihnen vom Bundesverfassungsgericht beigelegten Inhalt bereits im Instanzenzug über die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte26 beziehungsweise deren mittelbare Drittwirkung27 zur Geltung verhilft, im Strafprozess ohnehin unmittelbar über das Handeln des grundrechtsgebundenen Staats zu entscheiden ist und zudem in der zivilprozessualen Revision über den Zulassungsgrund der Einheitlichkeitssicherung, die Verletzung des allgemeinen Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie der Prozessgrundrechte, insbesondere den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), entschieden werden muss, ist der Bundesgerichtshof selbst grundrechtsverwirklichendes Gericht und trägt so zugleich zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts bei. Damit unterstützen sich beide Gerichte respektvoll in ihren jeweiligen institutionellen Rollen und Kompetenzbereichen.
Ganz Vergleichbares gilt für das Verhältnis des Bundesgerichtshofs zum Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), der zur Entscheidung über die Gültigkeit und Auslegung der europäischen Rechtsakte berufen ist, wohingegen der Bundesgerichtshof in seinem Zuständigkeitsbereich darüber entscheidet, wie den durch den EuGH gefundenen Maßgaben des Europarechts im Rahmen der nationalen Rechtsordnung zur effektiven Durchsetzung verholfen werden kann. Damit ist die Wahrung des Unionsrechts gemeinsame Aufgabe von EuGH und Bundesgerichtshof. Sie sind verbunden in einem einheitlichen unionalen Rechtsschutzsystem, in dem sie über das Mittel des Vorabentscheidungsverfahrens (Art. 267 AEUV) miteinander in produktiven Dialog treten.28 Zugleich zieht der Bundesgerichtshof bei der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts auch die Grenzen der Integrationsfähigkeit nach, indem er einer – auch vom Unionsrecht nicht verlangten29 – Auslegung contra legem nicht zur Geltung verhilft und verhelfen darf, vielmehr die Pflicht zur Verwirklichung des Richtlinienziels im Auslegungsweg ihre Grenzen an dem methodisch Erlaubten findet.30
Ein Blick nach vorn
Der Bundesgerichtshof hat sich nach 75 Jahren einen festen Platz im Rechtsstaatsgefüge der Bundesrepublik und in Europa erarbeitet, den es zu bewahren und zu erhalten gilt. Dabei seien folgende Punkte herausgehoben: Die Bürgerinnen und Bürger mit ihren subjektiven Rechten stehen weiter im Mittelpunkt der verfassungsrechtlich gebotenen Justizgewährung. Ihrer Disposition unterliegt die Anfechtung von Entscheidungen im Individual- und damit zugleich im Interesse der Fortentwicklung des Rechts. Wo sich diese Erwartung im Zivilprozess aufgrund eines „rationalen Desinteresses“ in der Vergangenheit nicht stets erfüllt hat, stehen mit den Instrumenten des kollektiven Rechtsschutzes sowie dem neuen Leitentscheidungsverfahren Instrumente zur Verfügung, um mit höchstrichterlichen Grundsatzentscheidungen in exemplarischen Einzelfällen die instanzrichterliche Anwendung des Rechts in der Breite anzuleiten.
Sosehr das Recht, seine dogmatische Begründung und seine methodische Implementierung durch die Gerichte wichtig sind, so sehr ist auch eine dem Recht und der Gerechtigkeit verpflichtete Richterschaft wesensnotwendig, um den Schutzversprechen einer rechtsstaatlichen Ordnung zum Erfolg zu verhelfen. Wenn von Verfassungs wegen der Mensch als Richter entscheidet, sind die Zusammensetzung und eine dem Grundgesetz verpflichtete Richterschaft notwendige Bedingung des Rechtsstaats. Von der Vielfalt der Biografien und Persönlichkeiten, die kein hoheitliches, sondern ein im besten Sinne des Wortes dem Recht „dienendes“ Vorverständnis mitbringen, lebt die Rechtsprechung auch des Bundesgerichtshofs. Dem aufeinander bezogenen Zusammenwirken von Legislative und Exekutive, von Bund und Ländern bei der Wahl von Bundesrichterinnen und Bundesrichtern ist deshalb höchstes Augenmerk zu widmen.31 Die erforderliche legitimationsverstärkende Wirkung einer dem föderalen Staatsaufbau entsprechenden Bundesjustiz kann nur dann gelingen, wenn eine politisierte Wahl zu den obersten Bundesgerichten (und dem Bundesverfassungsgericht) nicht erfolgt. Wenn 1950 bei der Schaffung des Richterwahlgesetzes betont wurde, dass durch die Mitwirkung politischer Faktoren die Auswahl der Richterschaft vor „parteipolitischer und standesmäßiger Einseitigkeit“ bewahrt werden sollte32, ist das nur scheinbar ein Widerspruch. Wichtig ist vielmehr ein verantwortlicher, seinerseits dienender Umgang der Ersten Gewalt bei der erforderlichen politischen Legitimation der Gerichte33, der zugleich notwendige Bedingung für eine unabhängige, nur Recht und Gesetz verpflichtete Dritte Gewalt ist. Solche Grundsätze des gegenseitigen Respekts gilt es zu beachten und zu bewahren.
Aus den besorgniserregenden Entwicklungen in Europa und Übersee kann nur der Schluss gezogen werden, dass das Bestehen einer unabhängigen, rechtsstaatlichen Justiz nicht als selbstverständlich hingenommen werden darf, sondern das in den vergangenen 75 Jahren Erreichte Tag für Tag aktiv gefestigt und verteidigt werden muss. Dazu ist nationale Wachsamkeit ebenso erforderlich wie eine Intensivierung der internationalen Vernetzung europäischer Höchstgerichte.
Wenn zu einem künftigen 100. Jahrestag der Errichtung des Bundesgerichtshofs auf die nun vor uns liegende Epoche zurückgeblickt werden wird, sollte folgender Satz wahr sein: „Der Bundesgerichtshof hat sich in den zurückliegenden Jahren trotz vielfältigen Drucks und großer Herausforderungen als Garant einer rechtsstaatlichen Justiz in einer freiheitlich-demokratischen Bundesrepublik Deutschland und einem in Vielfalt geeinten Europa behaupten und fortentwickeln können.“ Dies sei dem Bundesgerichtshof, dies sei uns allen gewünscht.
- Eingehend: Kißener, in: Kißener/Roth, Justiz im Umbruch. Die Geschichte des Bundesgerichtshofs 1950 bis 1965 (Band 1), 2024, S. 33 ff.; siehe auch Fischer, Karlsruhe wird Residenz des Rechts, in: Badische Heimat 2015, S. 49 ff.
- Vgl. beispielhaft die Fortentwicklung der Rechtsprechung zur fehlerhaften Gesellschaft, dazu Tolksdorf, ZIP 2011, 1553 (1554).
- Siehe Kern/Schmidt-Recla, in: Kern/Schmidt-Recla (Hrsg.), 125 Jahre Reichsgericht, 2006, S. 5: Reichsgericht als „Hüter des Rechts“ und „Wegbereiter der deutschen Privatrechtseinheit“ einerseits, aber auch „Vollstrecker der Rassenideologie“ andererseits.
- Umfassend Kißener/Roth, Justiz im Umbruch. Die Geschichte des Bundesgerichtshofs 1950 bis 1965.
- BGH Urteil v. 7.1.1956, BeckRS 2015, 19226.
- Neu abgedruckt in NStZ 1996, 485.
- BGH NJW 1968, 1339.
- BGH NJW 1996, 857 (863).
- Geiß, in: Geiß/Nehm/Brandner/Hagen (Hrsg.), Festschrift aus Anlaß des fünfzigjährigen Bestehens von Bundesgerichtshof, Bundesanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof, 2000, S. V.
- BGHZ 242, 168 zur Eigenbedarfskündigung eines DDR-Altmietvertrags.
- Zunächst durch das KapMuG (2005), sodann durch die – zunächst in der ZPO und nun im VDuG – geregelte Musterfeststellungsklage (2018) sowie, als (vorerst) letzten Baustein, die Abhilfeklage (2023).
- §§ 552b, 565 ZPO.
- Hirsch, ZRP 2006, 161.
- So MüKoZPO/Krüger, 7. Aufl. 2025, ZPO § 543 Rn. 11.
- Zuletzt BGH, Beschluss v. 13.5.2025 juris Rn. 16.
- Ein Beispiel aus jüngerer Zeit ist die – methodisch angeleitete – Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Rechtsangelegenheiten des Arbeitgebers“ in § 46 Abs. 5 BRAO als Zulassungsvoraussetzung für Syndikusanwälte (BGHZ 226, 170 Rn. 21 ff.).
- Siehe etwa das Prüfprogramm für die Wirksamkeits- (§ 138 BGB) und Ausübungskontrolle (§ 242 BGB) von Eheverträgen, wie es der Bundesgerichtshof im Jahr 2004 – verfassungsrechtliche Impulse aufgreifend – in intensiver Auseinandersetzung mit Lösungsvorschlägen aus dem Schrifttum entwickelt hat (BGHZ 158, 81 Rn. 34 ff.) und das in der Folge fallgruppenweise ausgeschärft wurde (so zuletzt für Unternehmerehen: NJW 2025, 2481 ff.).
- Siehe aus jüngerer Zeit etwa im Energiewirtschaftsrecht zur Frage der (Un-)Zulässigkeit öffentlich-rechtlicher Vergleichsverträge über die Regulierungsfreistellung von Verbindungsleitungen (BGHZ 233, 175 Rn. 11 ff.).
- So der Befund für die mit dem „Beisichführen eines anderen gefährlichen Werkzeugs“ (§§ 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. a und § 177 Abs. 3 Nr. 1 StGB) in BGHSt 52, 262 f. (266) verbundenen Auslegungsschwierigkeiten.
- Siehe § 563 Abs. 2 ZPO und § 358 Abs. 1 StPO.
- Insbesondere, wenn und weil ein Revisionszulassungsgrund nicht vorliegt und auch die zum 1.1.2020 endgültig in § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO festgeschriebene Wertgrenze (nach mehrfacher Verlängerung der Übergangslösung in § 26 Nr. 8 EGZPO) für die Nichtzulassungsbeschwerde nicht erreicht wird.
- BT-Drs. 20/8762, S. 10.
- Siehe § 563 Abs. 3 ZPO, § 354 Abs. 1 StPO einerseits und § 563 Abs. 1 ZPO, § 354 Abs. 2, Abs. 3 StPO andererseits.
- So beispielhaft aus jüngerer Zeit für Ausnahmen von der Anwendbarkeit des Grundsatzes der fehlerhaften Organbestellung wegen höherrangiger Interessen der Allgemeinheit oder einzelner besonders schutzwürdiger Personen im Kapitalgesellschaftsrecht: BGH, Urteil v. 17.9.2024, BGHZ 241, 196-238, Rn. 45 ff., Rn. 51.
- So beispielhaft für die Frage der Anwendbarkeit schuldrechtlicher Schadenersatzansprüche auf dingliche Ansprüche: BGH, Urteil v. 23.3.2023, BGHZ 236, 369-383, Rn. 32.
- Grundlegend BVerfG, Urteil v. 15.1.1958, BVerfGE 7, 198–230, Rn. 30; zuletzt etwa BGH, Beschluss v. 23.6.2020, BGHZ 226, 67–116, Rn. 105.
- So erstmals die Terminologie in BVerfG, Beschluss v. 23.4.1986, BVerfGE 73, 261–280, Rn. 25; in jüngerer Zeit aufgegriffen etwa von BGH, Urteil v. 29.7.2021, Rn. 66, juris.
- Vgl. EuGH, Urteil v. 6.3.2018 – C-284/16 = NJW 2018, 1663 Rn. 36 f.– Achmea.
- Vgl. EuGH, Urteile v. 4.7.2006 – C-212/04 – Adeneler, Slg. 2006, I-6057 Rn. 110; v. 24.1.2012 – C-282/10 – Dominguez, NJW 2012, 509 Rn. 25.
- Siehe zuletzt BGH, Beschluss v. 13.5.2025, Rn. 23 juris m. w. N.
- Siehe BVerfG, Beschluss v. 20.9.2016, BVerfGE 143, 22–38, Rn. 27 ff.
- von Merkatz, in: BT-Plenarprotokoll 1/75, S. 2727 C f.
- Vgl. Limperg, in: Festschrift für Schlegel, 2024, S. 1027 ff.
Eine erweiterte Fassung dieses Beitrags wird in der JZ Mitte Oktober in Heft 20 veröffentlicht. Die Autorin dankt den wissenschaftlichen Mitarbeitenden des Bundesgerichtshofs, ohne die Beiträge wie diese nicht möglich wären.