Abtreibungsrecht liberalisieren?

Pro

Contra

Carmen Wegge (SPD)

ist Abgeordnete des Deutschen Bundestags und Initiatorin des Gruppenantrags zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs.

Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU)

ist Abgeordnete des Deutschen Bundestags und Vorsitzende des Rechtsausschusses.

Eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuchs (StGB) ist nicht nur wegen der dramatischen Versorgungslage und dem Wandel des Rechts geboten, sondern würde uns Frauen und die Selbstbestimmung über unsere Körper auch endlich in das 21. Jahrhundert katapultieren. Der nun vorliegende Gesetzentwurf ist das Ergebnis einer gesellschaftlichen und parlamentarischen Auseinandersetzung über das Selbstbestimmungsrecht von Frauen beim Schwangerschaftsabbruch und darüber, welchen Rahmen der Staat für diese Entscheidung vorgibt.

Die aktuelle Regelung im Strafgesetzbuch schützt das ungeborene Leben nicht. Stattdessen setzt sie die Frauen in einer sowieso schon für sie schwierigen Situation einem zusätzlichen Stress aus. Warum? Das Strafrecht führt nicht nur zur Stigmatisierung von Frauen und Ärztinnen und Ärzten, sondern hat auch dramatische Auswirkungen auf die Versorgungslage von Frauen in Deutschland. Die Ergebnisse der ELSA-Studie zeigen, dass 4,5 Millionen Menschen außerhalb einer angemessenen Erreichbarkeit zum nächsten Angebot für einen Schwangerschaftsabbruch leben. In 85 von 400 Landkreisen werden die erforderlichen Kriterien hierfür nicht erfüllt. Denn die Zahl der Ärztinnen und Ärzte, die bereit sind, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen, hat sich in den letzten 20 Jahren halbiert. Die überwiegende Mehrheit der befragten Medizinerinnen und Mediziner gibt an, aufgrund der Regelung im Strafgesetzbuch keine Schwangerschaftsabbrüche zu erlernen beziehungsweise durchzuführen. Wir müssen also das Strafgesetzbuch ändern, wenn wir die Versorgungslage von Frauen sicherstellen wollen. Der Blick auf den Umgang mit dem Schwangerschaftsabbruch unterlag zudem in den letzten Jahrzehnten einem gesellschaftlichen Wandel. Knapp 80 Prozent der Deutschen sind inzwischen für eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. Darüber hinaus wurde Deutschland zuletzt aufgrund seines restriktiven Abtreibungsrechts vonseiten der UN gerügt. Es verstößt nicht nur gegen die UN-Frauenrechtskonvention, sondern auch gegen Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation. Der Regelungsort im Strafgesetzbuch wird also weder von der deutschen Gesellschaft noch von internationalen Regularien mitgetragen. 

Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verwehrt es uns als Gesetzgeber nicht im Sinne eines absoluten „Normwiederholungsverbots“, eine inhaltlich abweichende Nachfolgenorm zu schaffen, die von der Karlsruher Rechtsprechung abweicht und auf eine gesetzgeberische Auslegung der Verfassung hinausläuft. Genau das machen wir jetzt. Um sowohl dem gesellschaftlichen Wandel, dem Selbstbestimmungsrecht der Frau und dem Schutz des ungeborenen Lebens gleichermaßen gerecht zu werden, schlagen wir eine moderate Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs vor. Wir wollen eine reine Entkriminalisierung der Frau. Wir wollen zudem eine Entkriminalisierung von Ärztinnen und Ärzten bei einem Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche. Wir wollen die praxisferne Wartefrist von drei Tagen zwischen Beratung und Abbruch streichen. Ansonsten bleibt alles gleich. Der Abbruch nach der 12. Woche bleibt strafbar. Die Beratungspflicht der Frau als zentraler Bestandteil des Schutzkonzepts des ungeborenen Lebens bleibt erhalten. Selbst der § 218 StGB bleibt bestehen, um die Schutzwürdigkeit des ungeborenen Lebens in der Systematik des StGB zu betonen. Er regelt den Abbruch gegen oder ohne den Willen der Frau. Es ist an der Zeit, Frauen zu vertrauen. Das Recht muss sich dieser gesellschaftlichen Haltung anpassen.

Der aktuelle Entwurf zur Reform des § 218 des Strafgesetzbuchs (StGB) erscheint vordergründig nicht revolutionär: Die 12-Wochen-Frist bleibt, die Beratungspflicht bleibt, die Wartefrist soll entfallen, die Krankenkasse den Abbruch bezahlen, § 218 StGB modifiziert werden. Unabhängig davon, dass der Schutz vor übereilter Entscheidung und Beeinflussung schon hierdurch erheblich geschwächt würde, will der Gesetzentwurf aber nichts weniger als einen Paradigmenwechsel: Der Abbruch auf Verlangen der Schwangeren in den ersten 12 Wochen nach Beratung, derzeit explizit straflos gestellt durch § 218a StGB, soll in Zukunft als rechtmäßig gelten; denn dies ist Voraussetzung für die weiteren Folgerungen.

Die entscheidende Frage steht dabei ganz am Anfang der Argumentation: Welche Rechte hat der Fötus? Seit der Debatte um die Abschaffung des Werbeverbots kennen wir den Begriff des „Schwangerschaftsgewebes“, dem selbstredend keinerlei Rechte zustehen sollen. Dem nähert sich die Regierungskommission – auf die sich der Gesetzentwurf stützt –, die den Schutzanspruch des Kindes im ersten und zweiten Trimenon mit der Begründung wegdefiniert, dass es von der Mutter völlig abhängig sei. Gibt es aus dieser Sicht kein schutzwürdiges Rechtsgut, dann kann auch der Eingriff nicht rechtswidrig sein, braucht es kein Schutzkonzept, keine Beratung, kein Strafrecht, spricht nichts gegen die Finanzierung durch die Krankenkasse.

Hier kann schon nicht überzeugen, wenn die Lebensfähigkeit außerhalb des Mutterleibs, also medizinische Kunst, zum Kriterium von Lebensrecht und Menschenwürde gemacht wird. Dieser Ansatz steht im Widerspruch zu den Erkenntnissen der Pränatalmedizin, wonach das Ungeborene sich von Anfang an unabhängig, individuell und nicht als Teil des mütterlichen Organismus entwickelt, ebenso wie zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das Gericht erkennt die Menschenwürde und eigene Rechte des Ungeborenen an, das sich von Anfang an als Mensch, nicht zum Menschen entwickele. Daraus folgt ein interpersonaler Grundrechtskonflikt zwischen der Schwangeren und dem Ungeborenen. Der Schwangerschaftsabbruch beendet menschliches Leben und ist damit im Grundsatz rechtswidrig. Während bei einer Sexualstraftat oder konkreter Gesundheitsgefahr für die Schwangere ein festgestellter rechtfertigender Notstand besteht, ist dies bei der Beratungslösung anders: Aus guten Gründen wird hier die selbstbestimmte Entscheidung der Frau respektiert, unabhängig vom Vorliegen, erst recht vom Nachweis einer vergleichbaren Notlage. Bewusst ist damit kein Strafvorwurf verbunden, der Staat maßt sich eine Bewertung des Konflikts nicht an und setzt auf Hilfe statt Strafe. Das ist der Grundgedanke der heute geltenden Regelung, nach der bei etwa 100.000 Abbrüchen pro Jahr keinerlei Verfahren gegen Schwangere oder Ärzte stattfinden; ein Großteil wird einkommensabhängig von den Ländern finanziert. Unter Geltung des Grundgesetzes kann aber niemandem das Recht zustehen, ohne festgestellte Notwehr- oder Notstandslage ein anderes menschliches Leben zu beenden.

Wer Rechtmäßigkeit annehmen will, spricht dem Ungeborenen eigene Rechte ab und relativiert letztlich den Wert menschlichen Lebens. Unabsehbare Konsequenzen für Embryonenschutz und Lebensschutz in anderen Fällen dürften folgen. Wer die Wertung des Bundesverfassungsgerichts als nicht mehr zeitgemäß abtut, verkennt, dass das Gericht nicht mit Sitte und Moral argumentiert, sondern mit Menschenwürde und Grundrechten des Ungeborenen. Diese unterliegen nicht Zeitgeist oder Verfall, sondern gelten absolut.

Contra