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Justizumbau in Israel schreitet voran

Das israelische Parlament hat ein zentrales Gesetz im Zuge des umstrittenen Justizumbaus gebilligt, das der Regierung eine beinahe exklusive Bestimmungsgewalt bei der Auswahl von Richtern einräumt. Es wurde fast ohne Gegenstimmen angenommen, nachdem die Opposition die Schlussabstimmung boykottiert und die Knesset aus Protest verlassen hatte.

Im Kern geht es um eine Änderung der Zusammensetzung des Richterwahlausschusses. Diese wird zu einer starken Politisierung des Richterwahlverfahrens des Obersten Gerichtshofs und der anderen Gerichte führen. Das neue Gesetz sieht unter anderem vor, dass in einem neunköpfigen Ausschuss zur Ernennung von Richtern künftig statt zwei Vertretern der Anwaltskammer jeweils ein von der Regierung und ein von der Opposition gewählter Anwalt sitzen sollen. Außerdem sind Vetorechte von Vertretern der Exekutive bei der Richterauswahl vorgesehen. Obwohl es sich um geringfügige Änderungen zu handeln scheint, wird dieser Umbau die Zusammensetzung des Obersten Gerichtshofs durch die Politisierung des Auswahlverfahrens grundlegend verändern und die Unabhängigkeit der Gerichte konterkarieren. Sie verschiebt das Machtgleichgewicht von den Berufsverbänden (Richter und Anwälte) hin zu gewählten Politikern.

Die wichtigste Änderung betrifft die Regeln für die Auswahl: Für die Wahl eines Richters am Obersten Gerichtshof genügt die einfache Mehrheit der Ausschussmitglieder. Sie muss einen Vertreter der Koalition und einen Vertreter der Opposition umfassen, ohne dass die Zustimmung eines Richters erforderlich ist. Das bedeutet, dass die Politiker ein Vetorecht haben und für die Wahl eines Richters am Obersten Gerichtshof keine Richterstimme erforderlich ist.

Wenn der Ausschuss bei der Auswahl der Richter für den Obersten Gerichtshof nicht vorankommt und zwei Sitze aufgrund von Pensionierungen frei werden, kann der Justizminister (einmal pro Legislaturperiode der Knesset) einen bestimmten Mechanismus anwenden. Dieser sieht vor, dass die Vertreter der Koalition (der Minister, der Abgeordnete und der von der Koalition benannte öffentliche Vertreter) drei Kandidaten vorschlagen, von denen die übrigen Mitglieder des Ausschusses einen auswählen müssen. Entsprechend schlagen die Vertreter der Opposition ihrerseits drei Kandidaten vor, von denen die übrigen Mitglieder des Ausschusses einen auswählen müssen. Dieses Arrangement könnte die Politiker dazu verleiten, sich nicht auf einen bestimmten Richter nach den üblichen Wahlregeln zu einigen, sondern die Pattsituation auszunutzen, damit sie den Richter bekommen, den sie wollen, ohne Kompromisse eingehen zu müssen.

Bei der Wahl der Richter für alle anderen Gerichte ist für die Entscheidung des Ausschusses die Mehrheit seiner Mitglieder erforderlich, darunter mindestens ein Vertreter der Koalition, ein Vertreter der Opposition und ein Richter. Dies führt dazu, dass parteipolitische Erwägungen ein größeres oder sogar entscheidendes Gewicht erhalten und Vorrang vor fachlichen Aspekten haben. Das richterliche Vetorecht bleibt für die unteren Gerichte bestehen, könnte aber wirkungslos sein, da Richter zögern könnten, es einzulegen, um das System nicht zu belasten. Sollten sich die Politiker also untereinander einigen, könnten Richter fachliche Erwägungen aufgeben. Das Ziel dieser neuen Änderung ist eindeutig: Die Mitglieder der Knesset und die politischen Vertreter werden nach politischen, ideologischen und parteipolitischen Erwägungen handeln und nicht nach Professionalität, Vielfalt oder Repräsentation. Der neue Patt-Mechanismus wird die politische Polarisierung vorantreiben und Anreize für jede Seite schaffen, die extremsten Kandidaten zu nominieren, die ausschließlich ihre politische Position widerspiegeln. Dies wird einen breiten Konsens verhindern, wodurch die gesellschaftliche Vielfalt unter den Richtern verringert wird. Kern der Idee ist, dass Politiker durch politische Absprachen bestimmen, wer zum Richter ernannt wird. Damit wird ihrem Wunsch Rechnung getragen, Personen zu ernennen, die ihnen persönlich loyal sind oder sich politisch mit ihnen identifizieren. Mit anderen Worten: Jobs für Loyalisten. Diese Absicht widerspricht den Grundprinzipien der israelischen Justiz: neutrale, objektive und unabhängige Richter, die nur nach dem Gesetz entscheiden dürfen. Beim Obersten Gerichtshof wurden bereits mehrere Petitionen eingereicht, die eine gerichtliche Überprüfung dieser Änderung fordern.

Bislang war die Zusammensetzung des Richterwahlausschusses (JSC) auf eine ausgewogene Vertretung professioneller und politischer Akteure ausgerichtet und umfasste zwei Minister, zwei Mitglieder der Knesset (in der Regel ein Mitglied der Koalition und ein Mitglied der Opposition), drei Richter des Obersten Gerichtshofs (einschließlich des Obersten Richters) und zwei Vertreter der israelischen Anwaltskammer (insgesamt neun Mitglieder). Durch diese Zusammensetzung werden die Grundsätze der richterlichen Unabhängigkeit und der Rechenschaftspflicht der Justiz gewahrt. Aufgrund des Fehlens einer Verfassung gibt es in Israel kein Verfassungsgericht. Der Oberste Gerichtshof fungiert im Bedarfsfall jedoch als solches. Das Gleichgewicht zwischen Politikern und Fachleuten im Richterwahlausschuss ist von besonderer Bedeutung, nicht nur, weil der Oberste Gerichtshof die Macht der Regierung einschränken kann, sondern auch, weil die formalen Regeln, die die Unabhängigkeit der Richter garantieren, wie Amtszeit, Ruhestandsalter oder Abberufung, nicht in einer starren Verfassung verankert sind und durch eine einfache Mehrheit in der Knesset geändert werden können. Nach dem Stopp des Justizumbaus im Herbst 2023 wollte der Justizminister zwei Richter seiner Wahl für den Obersten Gerichtshof ernennen. Da dies nicht gelang, legte er die Reform vom Januar 2023 mit kleinen Änderungen jetzt erneut vor. Dies alles ist nur vor dem Hintergrund der Regierungsbildung zu verstehen, für die Benjamin Netanjahu Ende Dezember 2022 sein aktuelles Bündnis aus rechtsgerichteten, rechtsextremen und ultraorthodoxen Parteien vorstellte. Die neue Regierung beabsichtigte, im Rahmen des vom Justizminister im Januar 2023 vorgestellten Projekts der „Justizreform“ – bekannt als „Justizumbau“ –  die Art und Weise der Richterwahl zu ändern. Die Zusammensetzung des Richterwahlausschusses sollte so modifiziert werden, dass die Koalition eine Mehrheit von fünf der insgesamt neun Mitglieder hätte. Und statt einer Mehrheit von sieben der neun Mitglieder sollte für die Wahl der Richter am Obersten Gerichtshof künftig eine einfache Mehrheit ausreichen.

Da Israel keine schriftliche Verfassung hat, sondern nur 13 Grundgesetze mit Verfassungsrang – ein Status, der vom Obersten Gerichtshof erklärt wurde –, ist die Gerichtsbarkeit beinahe das einzige Gleichgewicht zur Macht der Regierung, denn Israel hat kein Zweikammerparlament, keinen Präsidenten mit Vetorecht bei der Gesetzgebung sowie keine Kontrolle im Gesetzgebungsprozess in Form eines föderalen Systems. Es gibt auch keinen anderen Mechanismus, der eine echte gegenseitige Kontrolle gewährleistet. Der von der Regierung beabsichtigte Justizumbau löste daher eine beispiellose öffentliche Reaktion aus, die Hunderttausende Israelis auf die Straßen trieb, um die Unabhängigkeit des Obersten Gerichtshofs und die israelische Demokratie zu verteidigen. Die Proteste und der Gaza-Krieg, der auf den 7. Oktober mit dem terroristischen Überfall der Hamas auf Israel folgte, brachten die Bemühungen um den Umbau der Gerichtsbarkeit aber nur kurzfristig zum Stillstand. Seit einigen Wochen sind leider erneut eine Demontage der Demokratie und die Rückkehr zu den Justiz­umbau-Plänen zu beobachten.

Prof. Dr. Suzie Navot

ist Professorin für Verfassungsrecht und Vizepräsidentin für Forschung am Israelischen Institut für Demokratie.