Ob die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) ein „großer Wurf“ ist, mag man unterschiedlich beurteilen – mit Sicherheit ist sie aber ein wichtiger und überfälliger Schritt zu mehr Ordnung im europäischen Asylsystem. Der Beschluss des Bundeskabinetts, diese Neuerungen zügig in nationales Recht umzusetzen, ist daher eine gute Nachricht. Nach Jahren des Stillstands und kontroverser Debatten liegen nun endlich einheitliche EU-Regeln vor. Dabei gibt es keinen Grund für Euphorie: Vor allem das europäische Außengrenzverfahren weist eine zu enge Begrenzung und zu viele Ausnahmen auf. Und auch künftig wird denjenigen, die Asyl beantragen, Zutritt zum Asylsystem und damit de facto Aufenthalt gewährt werden.
Ab Juni 2026 werden die neuen Regeln angewandt. Das ist ein wichtiger Baustein, um Ungleichheiten und Anreize für Sekundärmigration zu reduzieren. Künftig wird bereits an den EU-Außengrenzen entschieden, wer ein Asylverfahren durchlaufen darf und wer zügig in einen sicheren Drittstaat oder in den Herkunftsstaat zurückgeführt wird. Das sorgt für Klarheit und erschwert endlose Weiterwanderungen innerhalb Europas. Ein Solidarmechanismus soll die Grenzstaaten entlasten, während alle EU-Länder ihren Teil beitragen müssen. Für Deutschland bedeutet das weniger Mehrfachanträge dank EU-weiter Registrierung, schnellere Entscheidungen und Entlastungen für Länder und Kommunen. Wirklich Verfolgte erhalten schneller Schutz, während unbegründete Anträge rascher erkannt und abgeschlossen werden. Trotz dieses Fortschritts darf man die Grenzen der GEAS-Reform nicht übersehen. Die Brüsseler Einigung ist nur so gut wie ihre Umsetzung durch alle Mitgliedstaaten. Hier liegt eine Achillesferse: Alle Mitgliedstaaten müssen die beschlossenen Regeln konsequent anwenden und zugleich den Schutz der EU-Außengrenzen sowie die Rückführung abgelehnter Asylbewerber verbessern, da sonst neue Schlupflöcher entstehen. Solange eine Weiterreise nach Deutschland trotz Registrierung in anderen Mitgliedstaaten praktisch möglich bleibt, bleibt auch der Anreiz bestehen, lebensgefährliche Routen durch die Sahara oder über das Mittelmeer zu wählen. Damit gefährdet die Dysfunktionalität unseres Asylsystems Menschenleben – und ist gerade kein Ausdruck humanitärer Politik. Für eine Übergangszeit sind deshalb auch nationale Grenzkontrollen und Zurückweisungen an unseren Grenzen weiterhin notwendig.
Inwieweit die Reform die bislang kaum praktizierten Dublin-Überstellungen tatsächlich effektiver macht, kann sich erst in der Praxis erweisen. Hilfreich sind hierbei die neu vorgesehenen Sekundärmigrationszentren: Sie können helfen, die Überstellungen organisatorisch abzusichern und so den europäischen Rechtsrahmen auch praktisch durchzusetzen. Klar ist: Die Reform allein wird die komplexe Migrationsfrage nicht lösen. Zusätzliche gemeinsame Anstrengungen sind nötig – von einem besseren Schutz der EU-Außengrenzen über konsequentere Rückführungen abgelehnter Asylbewerber bis hin zu belastbaren Partnerschaften mit Drittstaaten. Gut ist es daher, dass auch die EU-Kommission bereits die nächsten Schritte vorbereitet – wie insbesondere die deutliche Absenkung des Verbindungselementes in einer neuen EU-Rückführungsverordnung: Rückführungen können dann zum Beispiel nicht nur in den Herkunftsstaat eines abgelehnten Asylbewerbers erfolgen, sondern unter anderem auch in alle Transitstaaten, die er durchquert hat. Das wäre ein erster vernünftiger Schritt zu einem „Drittstaaten-Modell“ im Asylrecht. Aus Sicht der Justiz bietet die Reform die Chance auf schlankere, rechtssichere Verfahren. Das entlastet die Gerichte spürbar und stärkt das Vertrauen in das Asylsystem.
Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) ist die größte Asylrechtsreform auf europäischer Ebene seit vielen Jahren. Ihr Anspruch ist es, ein teils dysfunktionales System neu aufzusetzen und nationale Souveränität mit europäischer Humanität zu verbinden. Der Kabinettsentwurf zum GEAS-Anpassungsgesetz gefährdet diese Ziele. In Zeiten zunehmender nationaler Abschottung liegt der Schlüssel für eine konstruktive, solidarische und regelbasierte Asylpolitik in starkem europäischem Zusammenhalt. Dass CDU und CSU vor allem auf nationale Alleingänge setzen, schwächt diesen Zusammenhalt und schadet Deutschland. Als Grüne haben wir in der letzten Legislatur dafür gekämpft, humanitäre Verantwortung, Ordnung und Solidarität zu sichern. Der schwarz-rote Kabinettsentwurf geht teils weit über EU-Vorgaben hinaus und widerspricht Grundsätzen von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten.
So sieht der Entwurf in §§ 68, 68a AsylG-E vor, dass Behörden eine umfassende Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden anordnen können – de facto eine Inhaftierung. Entgegen der Darstellung handelt es sich um eine Freiheitsentziehung nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG i. V. m. Art. 104 GG. Das BVerfG stellt klar, dass auch psychisch vermittelter Zwang eine Bewegungseinschränkung bewirken kann (Beschl. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21, Rn. 242). Eine solche Maßnahme setzt Fluchtgefahr voraus, die jedoch gesetzlich vermutet wird. Die Anforderungen zur Widerlegung der Vermutung sind hoch und mit der Lebensrealität von Schutzsuchenden kaum vereinbar, was Zweifel an der Verhältnismäßigkeit begründet.
Art. 104 Abs. 2 GG verlangt für Freiheitsentziehungen eine richterliche Anordnung und individuelle Prüfung. Diese ist in dem Entwurf jedoch nicht vorgesehen. Entsprechend bestehen auch hier erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Herausragend kritikwürdig ist, dass Kinder und besonders Schutzbedürftige nicht ausgenommen werden. § 70a AsylG-E erlaubt Inhaftierungen, wenn Eltern oder Betreuungspersonen in Haft genommen werden oder wenn bei unbegleiteten Minderjährigen die Haft angeblich dem „Schutz“ dient. Dabei handelt es sich um die optionale Ausnutzung von Umsetzungsspielräumen, die der Unionsgesetzgeber nicht zwingend vorgibt. Die Inhaftierung von Kindern birgt stets das Risiko schwerer Grundrechtsverletzungen. Sie erleben Zwang intensiver als Erwachsene und sind stark traumatisierungsgefährdet. Dies widerspricht der UN-Kinderrechtskonvention und der Rechtsprechung des EGMR, nach der die Vulnerabilität Minderjähriger Vorrang vor migrationsrechtlichen Erwägungen hat. Für uns ist klar: Kinder gehören unter keinen Umständen in Haft.
Ein weiterer kritischer Punkt ist die unzureichende Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben zur Rechtsberatung. Im Entwurf der Bundesregierung wird an entscheidenden Stellen mühsam erkämpfter Rechtsschutz wieder ausgehöhlt. Konkret sieht der neue § 12b Abs. 1 AsylG-E vor, dass das BAMF auf Ersuchen unentgeltliche Rechtsauskunft gewährt. Das bleibt hinter den EU-Vorgaben zurück, die eine Beratung durch unabhängige Rechtsbeistände oder NGOs vorsehen. Beratung durch die Behörde selbst ist ein offensichtlicher Interessenskonflikt. Mit dem Entwurf stellen sich CDU/CSU und SPD gegen europäische Kompromisse und geltende Rechtsprechung. Es wird deutlich: Alexander Dobrindt (CSU) hat keine Antworten auf Fragen einer modernen Asyl- und Einwanderungspolitik. Vielmehr forciert er ein Klima von Ausgrenzung und Abschottung. Das schadet dem europäischen Zusammenhalt, den Menschenrechten Schutzbedürftiger und ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die sich Autoritarismus statt Rechtsstaatlichkeit wünschen.