Seitdem Donald Trump wieder im Weißen Haus sitzt, nimmt er mit seinen Anordnungen vom Oval Office aus fast alles ins Visier, was er für „unangemessen“ befunden hat. Dies trifft nicht nur die Ministerien und Behörden seiner Exekutive, sondern auch Kultureinrichtungen und private Unternehmen, selbst im Ausland. Sein disruptiver Aktionismus lähmt das zwischen Jubel und Verstörtheit hin- und hergerissene Parlament und setzt die Justiz unter immensen Stress.
Schon am Tag seiner Amtseinführung begann US-Präsident Trump damit, das Land mit seinen Executive Orders zu fluten. Parallel dazu dezimierte sein angeblich „unabhängiger Berater“ Elon Musk mit seiner Sonderabteilung namens DOGE die Behörden im Namen der Effizienz, um Personal und Ressourcen zu stutzen. Die Ausführung vieler Gesetze wurde gestoppt, Auslandshilfen wurden fast vollständig eingestellt, das Bildungsministerium verkündete seine Selbstauflösung. Die Emissäre der Abteilung für Regierungseffizienz (DOGE, Department of Government Efficiency) erschienen in den Behörden, klappten ihre Laptops auf und verlangten Zugang zu allen Daten, die sie zunächst auf Missbrauch durchsuchen und anschließend behördenübergreifend zusammenführen wollten, um angebliche illegale Ausländer ermitteln zu können. Die zuständigen Behördenmitarbeiter, die sich dem unter Verweis auf die Rechtslage widersetzten, wurden vom hauseigenen Sicherheitspersonal vor die Tür geführt und dort für beurlaubt oder gar gekündigt erklärt. Nachdem dies auch in der Zentrale der Sozialversicherung geschehen war, waren am nächsten Tag bereits über 6000 Versicherte fälschlicherweise als verstorben markiert. Dies erfolgte auf Verlangen der Heimatschutzbehörde, die mit diesem „bürgerlichen Tod“ die „Illegalen“ zur Rückkehr in ihr Heimatland bewegen will, weil im zivilen Leben eine aktive Sozialversicherungsnummer (auf deren Nachweis etwa potenzielle Arbeitgeber Zugriff haben) mangels eines verlässlichen Meldesystems als der einzige funktionierende Identitätsnachweis akzeptiert ist.
So verwirrend alle diese Vorgänge in ihrer Vielzahl und Gleichzeitigkeit erscheinen, so waren sie doch im Grunde vorhersehbar. Im Internet ist Project 2025 nachzulesen, herausgegeben von der Heritage Foundation, einer rechtskonservativen Organisation, der Beobachter antidemokratische und autoritäre Tendenzen nachsagen. Auf 922 Seiten ist akribisch aufgeführt, was in den Augen rechtskonservativer Kreise, die von den Ergebnissen während Trumps erster Amtszeit enttäuscht waren, als fortbestehender Missstand oder Machtmissbrauch der Regierung in Washington erscheint. Man muss schon einen bestimmten Standpunkt einnehmen, um all dies als Missstand erkennen zu wollen. Aber dieses „Drehbuch für die ersten 180 Tage“ listet detailliert auf, was alles auf welcher Grundlage zu tun sei, um diese vorgeblichen Fehlentwicklungen zu beenden. Trump selbst hat während des Wahlkampfs stets abgestritten, mit dem Projekt in Verbindung zu stehen. Aber er hält sich an dessen Empfehlungen. Man darf sich also vorstellen, dass Russell Vought, einer der Initiatoren des Projekts und Verfasser eines der einleitenden Kapitel, jetzt wenige Türen vom Oval Office entfernt im Weißen Haus sitzt und jeden Tag eine oder auch mehrere Seiten aus Project 2025 abschreibt und mit der Überschrift „Executive Order“ zum Präsidenten trägt, der sie mit seiner weit ausgreifenden Unterschrift absegnet „im Jahre des Herrn 2025 und 249. Jahr der Unabhängigkeit“.
Die USA stehen in der Tradition einer Demokratie mit Gewaltenteilung, in der das Parlament die Gesetze beschließt, die die Exekutive ausführt, während die Gerichte darüber wachen, dass alles seine Richtigkeit hat. Nun scheint es aber, dass Trump mit seinen Executive Orders am Parlament vorbei alles selbst bestimmt. Eigentlich sind Executive Orders nur allgemeine Anweisungen an seine Exekutive, die manchmal auch detailliertere Durchführungsbestimmungen zu Gesetzen enthalten. Alle Präsidenten haben sie erlassen, meist aber nur selten, häufiger dagegen in Kriegszeiten. Aus solchen Kriegszeiten stammen auch zwei Gesetze, auf die sich Trump jetzt beruft, weil er danach im Falle eines Notstands selbst (vorläufige) Regeln erlassen darf. Dies ist zum einen der Alien Enemy Act von 1798 für den Fall des (erklärten) Krieges oder einer Invasion. Die Geheimdienste der USA haben in einer gemeinsamen Studie keine Invasion feststellen können. Gleichwohl unterstellt Trump dreist eine von Venezuela gesteuerte Invasion durch angeblich Kriminelle, die er alle ohne Gerichtsverfahren ins Ausland verfrachten könne. Zum anderen ist da der International Emergency Economic Powers Act von 1977, mit dem unter US-Präsident Jimmy Carter ältere Vorschriften der Kriegswirtschaft zusammengefasst und reduziert wurden. Danach kann der Präsident im Falle einer ungewöhnlichen außenwirtschaftlichen Bedrohung der USA aktiv werden, womit Trump seine Zölle auf Importe zu rechtfertigen versucht.
Die ihm nach der Verfassung zustehende Hoheit über die Zölle müsste der Kongress sich durch eigene Gesetzgebungstätigkeit zurückholen. Dies gilt auch für jede andere Executive Order. Doch ist sich die (ohnehin nur knappe) Mehrheit aufseiten der Republikaner noch nicht sicher, ob sie weiter dem Präsidenten zujubeln oder ihn doch einmal in die Schranken verweisen soll angesichts der wirtschaftlichen Konsequenzen, die seine erratische Politik bisher schon zur Folge hatte. Derweilen rechtfertigt sich Trump selbst mit einem dem Usurpator Napoleon Bonaparte zugeschriebenen Satz: „Wer sein Land rettet, verstößt gegen kein Gesetz.“
Die Gerichte hingegen steuern in den Verfahren über die Deportation von (oft nur vermeintlich) kriminellen Ausländern in ein für sechs Millionen Dollar quasi angemietetes Gefängnis in El Salvador auf eine offene Konfrontation mit der Exekutive zu. Denn Präsident Trump und mit ihm das Justizministerium beharren auf ihrem Standpunkt, dass für Illegale, erst recht für kriminelle Illegale, kein Rechtsweg gegeben sei. Und seien sie erst einmal im Ausland, könne man sie auch nicht zurückholen. Doch genau das verlangen die Gerichte. Selbst der Supreme Court hat in einer einstweiligen Anordnung befunden, dass die Exekutive alles erdenklich Mögliche unternehmen muss, um eine Rückkehr der Deportierten zu erreichen, da die Betroffenen in jedem Falle das Recht auf ein Habeas-Corpus-Verfahren hätten. Dieses Recht ist dem Supreme Court so wichtig, dass er in einer weiteren mitternächtlichen Anordnung – nach Ansicht der beiden ultrakonservativen Richter ohne jeden Anlass – verfügte, dass jede Verbringung von Betroffenen vor Abschluss eines gerichtlichen Freiheitsentziehungsverfahrens unzulässig sei. Denn Habeas Corpus gilt im englischen Rechtskreis als Urmutter aller Menschenrechte – es geht um eine Haftprüfung durch ein Gericht als Schutz vor einem willkürlichen Freiheitsentzug. Vor diesen Rechtszustand will eigentlich keiner zurück – es sei denn, er träumt von der Allmacht mittelalterlicher Könige. Trump selbst feierte sich nach der Abschaffung der Citymaut in New York auf seinem eigenen Nachrichtendienst mit dem Satz: „LONG LIVE THE KING!“