Die bundesdeutsche Justiz ist trotz multipler Krisen und gesellschaftlicher Polarisierung eine verlässliche Institution: Laut Roland Rechtsreport sprechen ihr 67 Prozent der Bürgerinnen und Bürger ihr Vertrauen aus. Dieses Vertrauen zu erhalten und zu stärken, ist grundlegend für einen freiheitlichen Rechtsstaat. Gerade in Zeiten zunehmender Anfeindungen gegenüber Richtern, Staatsanwälten und Zeugen. Auch die Justizministerkonferenz hat im Juni 2025 bekräftigt, dass der Schutz der Unabhängigkeit der Gerichte höchste Priorität hat. In einer Erklärung wurde vor dem Hintergrund der steigenden Zahl von Angriffen beschlossen, dass Bund und Länder dem gemeinsam entgegentreten. Denn: Wer die Justiz angreift, greift einen Zentralpfeiler unserer freiheitlichen Grundordnung an.
Zunehmende Einschüchterungsversuche belegen die Dringlichkeit. Gerade im Bereich der organisierten Kriminalität gehört es vermehrt zum Repertoire, auf Verfahrensbeteiligte Druck auszuüben. Berichtet wird etwa von Gewaltandrohungen vor und im Gerichtssaal, gezielten Nachstellungen oder Drohungen mit Waffengewalt. Auch Privatadressen von Richtern werden ausgespäht, um Druck auszuüben oder Angst zu erzeugen. In einem Fall sagte ein Zeuge gegenüber der Staatsanwaltschaft, drei Berufsrichterinnen einer großen Strafkammer sollen „beseitigt“ werden. Die Folge waren Ermittlungen wegen Verabredung zu einem Verbrechen und umfangreiche Schutzmaßnahmen. Betroffen sind neben Gerichtspersonen und Staatsanwälten auch Zeugen, die gezielt genötigt werden, von einer Aussage vor Gericht abzusehen – mit unmittelbaren Folgen für die Strafjustiz. Vor diesem Hintergrund hatte das Land Berlin bereits im Oktober 2024 eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Strafgesetzbuchs und der Strafprozessordnung eingebracht, mit dem Ziel, den strafrechtlichen Schutz von Verfahrensbeteiligten und Beweispersonen zu erhöhen und die Instrumente für Ermittlungsverfahren zu schärfen. Ein neues Regelbeispiel im Nötigungstatbestand des § 240 StGB sollte klarstellen, dass eine besonders schwere Nötigung regelmäßig dann vorliegt, wenn Personen gezielt daran gehindert werden, ihre verfahrensbezogenen Rechte und Pflichten wahrzunehmen. Der Antrag fand seinerzeit jedoch keine Mehrheit. Auch, weil das FDP-geführte Bundesministerium der Justiz die Auffassung vertrat, derartige Nötigungskonstellationen seien bereits nach geltendem Recht tat- und schuldangemessen erfasst.
Diese Einschätzung greift indes zu kurz. Die Erfahrungen aus der Praxis – insbesondere im Bereich der organisierten Kriminalität – zeigen, dass bestehende Normen nicht ausreichen, um den besonders gefährdeten Personenkreis wirksam zu schützen. Dabei handelt es sich längst nicht mehr um ein lokales Phänomen: Die mutmaßlichen Taten in den Niederlanden haben auf drastische Weise gezeigt, zu welchen Mitteln solche Gruppierungen greifen, bis hin zu schwersten Gewaltakten gegen Justizangehörige. Dass diese Aktivitäten sich aber nicht nur im Ausland abspielen, zeigen jüngste Vorfälle in Nordrhein-Westfalen. Ein besserer strafrechtlicher Schutz ist deshalb nicht nur eine Frage individueller Sicherheit, sondern Ausdruck institutioneller Resilienz. Die Autorität der Justiz speist sich nicht allein aus Gesetzen und Urteilen, sondern vor allem aus dem Vertrauen, das ihr entgegengebracht wird. Dieses Vertrauen ist kein Automatismus, sondern Ergebnis einer über Jahrzehnte gewachsenen Rechtskultur – sichtbar in der Unabhängigkeit der Gerichte, im öffentlichen Verfahren und in der verlässlichen Durchsetzung des Rechts.
Regelmäßig bekommt man den Eindruck, das Strafgesetzbuch sei löchrig wie ein Schweizer Käse. Justizministerinnen und Justizminister insbesondere der Union entdecken immer wieder neue Gesetzeslücken, die dringend geschlossen werden müssten. Hinzu kommt ein unerschütterlicher Glaube, dass Strafverschärfungen tatsächlich Wirkung zeigen.
Bei näherer Betrachtung der Gesetzesinitiative zeigt sich, dass die bestehenden Straftatbestände bereits eine tat- und schuldangemessene Bestrafung entsprechender Taten als Bedrohung, Nötigung oder Strafvereitelung ermöglichen. Zum Schutz von Zeuginnen, Zeugen und Gerichtspersonen kommt daneben unter anderem der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr in Betracht. Sollte in Einzelfällen aufgrund der Schwere der Tat der Strafrahmen der Nötigung nicht ausreichend sein, besteht bereits jetzt die Möglichkeit, dass die Gerichte einen unbenannten besonders schweren Fall annehmen und den Strafrahmen einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren anwenden. Der Vorschlag zu erweiterten Ermittlungsbefugnissen dürfte sich nach der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erledigt haben.
Nach einer Erhebung des Bundeskriminalamts zur Einschüchterung von Zeugen, Amtsträgern oder Sachverständigen im Zuge strafrechtlicher Ermittlungs- und Gerichtsverfahren gab es bundesweit insgesamt 20 reale Fälle von 2019 bis 2022. Das ist dünn als Begründung. Eine vermutete hohe Dunkelziffer sollte nicht der Maßstab sein, an dem sich unsere Gesetzgebung orientiert. Wie will man einen erhöhten Strafrahmen auf Fälle anwenden, die im Dunkeln liegen? Von evidenzbasierter, rationaler Kriminalpolitik ist das jedenfalls weit entfernt.
Ohne Frage muss der Rechtsstaat die Sicherheit der Menschen gewährleisten, die bei Gericht arbeiten, und Beteiligte an Gerichtsverfahren schützen – und das unabhängig von der Gerichtsbarkeit. Dieser Aufgabe stellt sich die Justizverwaltung bereits seit Jahren. Allerdings nicht so medienwirksam wie die Forderung nach einer erneuten Strafverschärfung. Gerichte werden bedarfsgerecht technisch gesichert. Es werden Fortbildungen angeboten und genutzt, die es ermöglichen, Gefahrenlagen richtig einzuschätzen und rechtzeitig Gegenmaßnahmen einzuleiten. Und natürlich gehören dazu auch konsequente Strafverfolgung und Anwendung der bereits bestehenden Strafnormen. Was die Priorisierung dieser Verfahren angeht, so haben es die Justizministerinnen und Justizminister der Länder selbst in der Hand.
Wie zu jeder Legislaturperiode hat es auch diesmal die Forderung nach einer Verschärfung des strafrechtlichen Schutzes von Polizisten sowie Einsatz- und Rettungskräften in den Koalitionsvertrag geschafft. Bekanntlich haben die Strafverschärfungen zu keiner Verbesserung der Lage oder mehr Respekt gegenüber den Einsatzkräften geführt. Gesellschaftliche Probleme lassen sich eben nicht allein mit dem Strafrecht lösen. Mich besorgt allerdings, dass sich in letzter Zeit zunehmend auch die Respektlosigkeit von Politikerinnen und Politikern gegenüber der Justiz dazugesellt. Wenn Berliner Richter nach dem jüngsten Urteil zu Asylsuchenden persönlich diffamiert und bedroht werden, erwarte ich nicht nur von Justizministerinnen und Justizministern, dass sie sich geschlossen vor die Justiz stellen. Die Debatte um die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts war ein weiterer Tiefpunkt. Wenn das weiter Schule macht, mit welcher Begründung will man dann Respekt von der Bevölkerung einfordern?