Während die Welt noch über die Zoll-Verrücktheiten des amerikanischen Präsidenten schimpfte, zeigte Donald Trump, wie er die Europäische Union wirklich aus den Angeln heben will.
Es war nur ein Nebensatz auf dem Höhepunkt des Streits um seine Zollpolitik, mit dem der US-Präsident sich verriet. Wenige Tage bevor das gesamte Paket voller wahnwitziger Importabgaben Mitte April in Kraft treten sollte, lehnte er ein Kompromissangebot der EU ab, mit dem die Gemeinschaft in neue Verhandlungen zum Abbau aller Zölle einsteigen wollte. Da machte Trump plötzlich klar, dass es ihm nicht nur um höhere Abgaben gehe. Schließlich, so lautete der wichtigste Satz, habe sich die Union (konkret: ihre Autoindustrie) nicht nur mit Zöllen, sondern auch mit Auflagen und Regeln abgeschottet. Dies seien nicht-monetäre Schranken, mit denen sich die EU gegen US-Produkte aller Art sperre. Die EU errichte Barrieren, die so streng seien, dass es unmöglich sei, sie zu erfüllen. Experten hatten nämlich erklärt, nicht Zölle seien schuld am schwachen Abschneiden der US-Autobauer in Europa, sondern eben diese Handelsschranken, an denen deren Modelle scheiterten. Damit hat Trump recht.
Tatsächlich hat die Europäische Union seit der Gründung des Binnenmarktes viel getan, um die Qualität ihrer Produkte – vom T-Shirt bis hin zum Autoreifen – zu harmonisieren. Sie hat im Zeichen des Klimaschutzes Produktionsmethoden durchleuchtet und im Rahmen des Verbraucherschutzes die rechtliche Verantwortung von Herstellern völlig neu geregelt. In Europa wurde eine Datenschutz-Grundverordnung entworfen, die beispiellos das Recht des Bürgers auf seine Informationen definiert und unter der nicht zuletzt auch die US-amerikanischen Tech-Giganten Google, Microsoft oder Meta bis heute stöhnen. Aber diese Politik der Zusammenführung von zunächst 15 und heute 27 nationalen Marktwirtschaften hat wenig mit Ausgrenzung, sondern im Gegenteil sehr viel mit der Schaffung eines beispiellosen Binnenmarktes für rund 430 Millionen Verbraucher zu tun. Hier liegt der Denkfehler des US-amerikanischen Präsidenten, der in diesem Wust an europäischem Wirtschaftsrecht eine Ausgrenzung sieht und nicht verstehen will (oder kann), dass Brüssel damit seine Wirtschaft auf ein Niveau gebracht hat, an das eben nicht heranreicht, was in anderen großen Volkswirtschaften wie China oder USA produziert und angeboten wird. Das gilt für (Chlor-)Hühnchen genauso wie für Gen-Mais oder Medikamente. Darauf könnte Europa gar nicht verzichten, ohne sich selbst zu zerlegen. Wie schwer es wäre, einen transatlantischen Wirtschaftsraum zu schaffen, der für die Europäer ebenso nach allen Seiten offen ist wie für die Vereinigten Staaten, haben die vor Jahren unternommenen Versuche, sich aneinanderzubinden, indem man sich füreinander öffnet, dramatisch gezeigt. Bei den Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen wurde praktisch um jede Schraube und jede Maispflanze gerungen, weil die EU es nicht hinnehmen wollte, dass die USA mit ihren Produkten ohne Übernahme der Auflagen den Markt der 27er Gemeinschaft überfluten. Das wäre keine Konkurrenz für die hiesigen Hersteller, es wäre ihr Todesurteil. Dass die Verhandlungen damals zum Ende der Amtszeit von Trump-Vorgänger Barack Obama nicht zum Abschluss kamen, war ein großer Fehler Washingtons – und eine vertane Chance für beide Seiten.
Der europäische Binnenmarkt gehört zur DNA dieser Gemeinschaft. Dass der US-Präsident diesen torpediert, um für die Produkte aus seinem Land bessere Absatzchancen zu erreichen, zeigt zugleich, wie weltfremd er ist. Weil Unternehmen nicht durch staatliche Almosen besser werden, sondern durch Wettbewerb. Wer den abschafft, weil er eingestehen muss, dass die eigenen Betriebe dabei unterliegen, hilft ihnen nicht. Auf Dauer gefährdet er sie.
Detlef Drewes
ist freier Journalist in Brüssel. Er berichtet für zahlreiche deutsche Zeitungen über Rechtsthemen.