Referendariat reformieren – schnell!

Im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz (KI) wird der heutige Vorbereitungsdienst zur Zumutung. Der Zweck des Referendariats muss dringend neu bestimmt werden.

 

Seit zwei Jahrhunderten gehört es zur Laufbahn jedes Anwalts, Richters und Verwaltungsjuristen: das Referendariat. Weder das Universitätsstudium noch das anschließende Staatsexamen, in dem die Juristen in allen großen Rechtsgebieten geprüft werden, reichen für die „klassischen“ Juristenberufe aus. Erst nach dem Referendariat – dem Vorbereitungsdienst – und einem zweiten, noch umfangreicheren Examen wird die Diplom-Juristin zur „Volljuristin“ und kann als Rechtsanwältin zugelassen oder in den höheren Staatsdienst eingestellt werden. An dieser zweiten Stufe der Juristenausbildung hat sich seit Generationen wenig geändert. Warum auch? Immerhin erhalten die Rechtsreferendare wertvolle „Einblicke“ in die gesamte Breite der juristischen Praxis, sie gewinnen „Verständnis“ für die Arbeit der anderen Berufe und ihnen wird beigebracht, ihr im Studium erworbenes Wissen auch „in die Praxis umzusetzen“.

 

Schreibübungen für Juristen?

 

Seit jeher sieht diese praktische Ausbildung so aus: Der Referendar bekommt von seiner Ausbilderin eine Akte mit einem realen Fall und hat einige Tage Zeit, um dazu einen passenden Entwurf zu schreiben. Das kann ein Urteil, eine Anklage, ein Schriftsatz oder ein Vertrag sein, je nachdem, wo der Referendar gerade eingesetzt ist. Die Ausbilderin benotet dann den Entwurf. Sie bespricht mit dem Referendar die Rechtslage und zeigt ihm, wie er den Text korrekt aufbauen und seine Argumente besser formulieren kann. Diese Abläufe haben sich bewährt und sind nicht schlecht – wenn man in die Vergangenheit blickt. Ganz anders fällt der Blick in die Zukunft aus: Was soll diese Ausbildung im KI-Zeitalter? Welche Referendarin braucht Lektionen über den richtigen Textaufbau, wenn sie ihre Gedanken sekundenschnell von ChatGPT in eine perfekte Form bringen lassen kann? Wenn sie Aktenauszüge, Urteile und Anklagesätze auf Knopfdruck aus einer elektronischen Akte erstellt? Wie soll der Ausbilder den Entwurf einer KI bewerten, der formal korrekt und inhaltlich vertretbar ist? Bekommt jede Referendarin dasselbe glänzende Zeugnis? Womit beschäftigt sich der Referendar dann eigentlich zwei Jahre lang? Mit der Übertragung von Akten in eine KI-Anwendung? Oder nur noch mit dem Lernen für das zweite Klausurexamen?

 

Diese Fragen dürfen nicht mit reflexhaften Argumenten abgewiegelt werden. Nein: Der Einsatz von KI im Referendariat kann nicht durch Verordnungen und Dienstvorschriften verhindert werden. KI wird zum Alltag gehören und deshalb auch genutzt werden. Die Referendarin steht unter Leistungsdruck, hat aber auch mehr Freiheiten als viele Ausbilder: Sie trifft keine eigenen Entscheidungen. Die Grenzen des Datenschutzes und der KI-Verordnung werden pragmatisch ausgereizt werden. Auch ein anderer Einwand wäre falsch: Der Referendar betrügt sich nicht selbst, wenn er die KI nutzt. Denn auch in der privatwirtschaftlichen Praxis, in Anwaltskanzleien und Rechtsabteilungen, wird auf dieselbe Weise mit KI gearbeitet werden. Zur Erinnerung: Gerade zur Vorbereitung auf die Praxis ist das Referendariat gedacht.

 

Was soll der Referendar lernen?

 

Es mag noch ein paar Jahre dauern, bis alle passenden Anwendungen zur Verfügung stehen. Aber bald wird es sie geben. Und dann werden sich Referendare und Ausbilderinnen in kürzester Zeit einig sein, dass die bisherige Ausbildung im Zeitalter der KI keinen Sinn mehr ergibt. Die Fragen sind unvermeidlich: Was soll eine Referendarin dann von ihrem Ausbilder lernen? Und braucht es dafür wirklich noch ein langes, formalisiertes Referendariat und ein zweites Staatsexamen? Geht es nicht auch kürzer, schlanker, flexibler? Eine Reform der Juristenausbildung braucht Zeit, gerade deshalb muss sie jetzt beginnen. Wir dürfen nicht warten, bis KI und Ratlosigkeit endgültig Einzug in die Referendarausbildung gehalten haben. Keinem Juristen kann zugemutet werden, nach Studium und Staatsexamen zwei Jahre in einem „Vorbereitungsdienst“ zu verbringen, der mit der Praxis nicht mehr Schritt hält.

 

André Wilkening
ist Richter am Oberlandes­gericht Celle. Er gibt hier seine persönliche Meinung wieder.