Die Freiheitlichen stehen in Wien vor dem Kanzleramt, eine Koalition mit der ÖVP ist zum Greifen nahe. Als maßgebliche Hürde für die Regierung dürften sich aber der Verfassungsgerichtshof und die EU-Gerichte erweisen. Eine Reform der Weisungskette in der Justiz ist unter einer FPÖ-ÖVP-Koalition nicht zu erwarten.
Österreichs FPÖ wird mit ihrem Parteichef Herbert Kickl wohl erstmals den Bundeskanzler stellen. Bereits in den nächsten Wochen dürfte die Koalition der Freiheitlichen mit der ÖVP besiegelt werden, sofern es nicht noch zu einer Überraschung kommt. Außen- und innenpolitisch dürfte damit manche Umwälzung auf Österreich zukommen. Doch könnten sich für eine FPÖ-ÖVP-Regierung vor allem das Verfassungsrecht, der Verfassungsgerichtshof (VfGH) und die EU-Gerichte als Hürden erweisen.
Bereits in ihrem Wahlkampf 2024 hatte die FPÖ harte Maßnahmen in der Asyl-, Integrations- und Migrationspolitik angekündigt. Sie will Österreicher gegenüber Ausländern in vielen Bereichen bevorzugen. Gemeindewohnungen und geförderte Wohnungen sollen primär an österreichische Staatsbürger vergeben werden. Sozialleistungen sollen für Asylbewerber stark eingeschränkt werden, diese sollen nur Sachleistungen und eine „Elementarversorgung im Gesundheitssystem“ erhalten.
Nun sind Vorstöße in diese Richtung nicht ganz neu. Bereits die Koalition zwischen ÖVP und FPÖ unter Bundeskanzler Sebastian Kurz – sie war von Dezember 2017 bis zum Auftauchen des Ibiza-Videos im Mai 2019 im Amt – versuchte, die Sozialleistungen für Zuwanderer einzuschränken. Mit der „Sozialhilfe neu“ sollten die vollen Sozialleistungen nur bei Erreichen eines gewissen Sprachniveaus ausgezahlt werden. Auch wurden Höchstsätze für kinderreiche Familien vorgesehen. Der Verfassungsgerichtshof brachte diese Eckpunkte des neuen Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes jedoch im Dezember 2021 zu Fall: Es handle sich um „sachlich nicht gerechtfertigte“ Regeln und eine „verfassungswidrige Schlechterstellung von Mehrkindfamilien“.
Ein weiteres Prestigeprojekt der Regierung war die Indexierung der Familienbeihilfe: ÖVP und FPÖ passten die Beihilfen für EU-Bürger, die in Österreich arbeiteten, an die Lebenshaltungskosten in dem Land, in dem ihre Kinder lebten, an. An in Österreich arbeitende EU-Bürger, deren Kinder etwa in Bulgarien oder Rumänien lebten, wurden daher deutlich niedrigere Beträge ausgezahlt. Hier war es der Europäische Gerichtshof, der die Reform im Juni 2022 kippte: Er urteilte, dass die Indexierung gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit verstoße und diskriminierend sei.
Neue Maßnahmen einer Bundesregierung unter einem Kanzler Kickl, die in eine ähnliche Richtung gehen, könnten ebenfalls von den Höchstgerichten aufgehoben werden. Es sei möglich, Inländer in gewissen Fällen zu bevorzugen, sagte der Verfassungsrechtler Peter Bußjäger zur Tageszeitung Die Presse. Großflächig Privilegien nur für Österreicher einzuführen, „da wird man sich aber schwertun“. Denn unsachliche Differenzierungen seien nicht erlaubt. Vor allem aber auch beim Familiennachzug, den sowohl FPÖ als auch ÖVP aussetzen oder zumindest beschränken wollen, haben die EU-Gerichte Hürden für Einschränkungen durch die Mitgliedstaaten aufgebaut.
Aufgrund dieser Fragen wird es für FPÖ und ÖVP bedeutend sein, welche Richter sie am VfGH nachbesetzen. Das österreichische Höchstgericht besteht aus 14 Verfassungsrichtern, deren Amt endet mit Ablauf des Jahres, in dem sie ihr 70. Lebensjahr erreichen. Ende 2024 ging Verfassungsrichter Helmut Hörtenhuber in Pension, der auf Vorschlag der ÖVP von der Bundesregierung nominiert worden war. Bisher wurde er nicht nachbesetzt. Ende 2025 folgt der Ruhestand von Verfassungsrichterin Claudia Kahr. Sie war auf Vorschlag der SPÖ von der Bundesregierung nominiert worden.
Für diese Position hat wieder die Bundesregierung das Vorschlagsrecht. Das war es dann aber auch schon. Die nächsten Nachbesetzungen stehen erst wieder im Jahr 2030 an. Die Legislaturperiode einer FPÖ-ÖVP-Regierung wäre dann bereits vorbei. Die Richter und Richterinnen des Verfassungsgerichtshofes haben bisher auch stets parteipolitisch unabhängig geurteilt. An sich stellen dort seit Jahren von der ÖVP und FPÖ nominierte Richter eine Mehrheit: Wie man an den Entscheidungen zu den Reformen der türkis-blauen Koalition und der gesellschaftspolitischen liberalen Judikatur des Gerichts sieht – ermöglicht wurde etwa die gleichgeschlechtliche Ehe, das Verbot von Beihilfe zum Suizid wurde aufgehoben –, beeinflusst das aber nicht die Linie des VfGH.
Einen Konflikt könnte die FPÖ aber mit den EU-Gerichten initiieren. In ihrem Wahlkampf drängte sie bereits darauf, ohne Details zu nennen, den Einfluss der Europäischen Gerichtshöfe zurückzudrängen. Denn diese würden zunehmend wie ein „Gesetzgeber“ agieren. Ungarn, das die FPÖ als Vorbild sieht, ignoriert ja bereits Urteile der EU-Gerichte und nimmt Strafzahlungen in Kauf (DRiZ 2025, S. 54 f.). Allerdings: Ob Österreich dieser Linie folgt, ist fraglich, will doch die ÖVP das Land proeuropäisch positionieren.
Auch sorgen sich manche Kreise in der ÖVP vor Alleingängen der EU-skeptischen FPÖ auf europäischer Ebene. Im Rat der EU vertritt jedes Regierungsmitglied das Land alleine, auch Querschüsse Kickls im Europäischen Rat werden befürchtet. Wie FPÖ und ÖVP intern zu formellen Abstimmungen kommen und sich auf eine Linie festlegen, gilt als ein Knackpunkt in den Verhandlungen.
Inwieweit die FPÖ von ihren EU-kritischen Positionen abrückt – für die ÖVP ist das eine Koalitionsbedingung –, ist noch nicht abzusehen. Ebenso unklar ist noch das justizpolitische Programm der beiden Parteien. Strafrechtlich lassen sich einige Überschneidungen finden. Beide Parteien wollen die Strafmündigkeit von derzeit 14 auf 12 Jahre senken. Zu hören ist, dass diese Reform kommen wird. Auch ein Verbotsgesetz gegen den politischen Islam schwebt FPÖ und ÖVP vor.
Keine gewagte Prognose ist auch, dass unter Blau-Türkis wohl keine Reform der Weisungskette kommen wird. Derzeit läuft das Weisungsrecht vom Justizminister zu den Oberstaatsanwaltschaften und dann zu den Staatsanwaltschaften. Vor allem aufgrund vieler brisanter Strafverfahren gegen ÖVP-Politiker wurde in den zurückliegenden Jahren wieder die Debatte laut, das Weisungsrecht vom Justizminister auf eine politisch unabhängige Bundes- und Generalstaatsanwaltschaft zu übertragen. Die FPÖ war stets gegen diese Reform, da sie ein angeblich demokratisches Defizit befürchtet. Die ÖVP hat sich zwar an sich zur Reform bekannt, ein Herzensanliegen ist sie für die Partei allerdings nicht.
Die Debatte um die Weisungskette wird daher wohl in den kommenden Jahren mit einiger Schärfe weitergeführt werden, zumal noch manches Verfahren gegen ÖVP- und FPÖ-Politiker offen ist. Und eine der beiden Parteien wird wohl den Justizminister stellen: Dass nämlich, wie von manchen Juristen gefordert wird, eine parteiunabhängige Person das Justizministerium übernimmt, gilt als eher unwahrscheinlich.